Sonntag, 26. April 2009

Die erste Vereinigung - Kurzgeschichte

Einleitung

Für alle Fans der vielleicht besten Star Trek Serie, Deep Space Nine:
Das Dominion war der erbitterte Feind der Sternenflotte im größten interstellaren Krieg der Föderationgeschichte. Und das Dominion, das sind die Gründer; eine Gemeinschaft von Formwandlern, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine chaotische, von humanooiden Lebensformen beherrschte Galaxie neu zu ordnen.
Doch wie entstand die große Vereinigung der Gründer ?
Und warum hassen die Formwandler alle Humanoiden bis in den Tod ?

Die erste Vereinigung beschäftigt sich mit all diesen Fragen.
Geschrieben wurde die Geschichte ursprünglich für einen Kurzgeschichtenwettbewerb, den sie auch gewinnen konnte.

Das meinte Sternenflotte-ev.de am 17.04.2009:
Für uns der klare Gewinner des Wettbewerbs. Trotz ihrer Länge ist die Geschichte überraschend kurzweilig und sehr gut geschrieben. Inhaltlich zweigeteilt, steigert sich die Spannung im ersten Teil bis zum Höhepunkt, um den Lesern dann in eine vollkommen neue Situation zu werfen. Diese wirkt zunächst unnötig, doch das Ende überrascht mit einer unerwarteten Wendung. Der zweite Abschnitt kann leider nicht ganz mit der großartigen ersten Hälfte mithalten. Insgesamt ist die Einbindung der bekannten Star Trek Völker im vollkommen neuem Zusammenhang sehr erfrischend und gelungen, genauso, wie die subtile Bearbeitung des Themas "Krieg und Frieden".



Und nun viel Spass :



Die erste Vereinigung

Kartok Arat Jenga stapfte wütend den gepflasterten Pfad entlang, der sich durchs Arboretum schlängelte. Er war in Eile, folgte aber trotzdem ordentlich der vorgegebenen Strecke, die grüne Wiesen durchschnitt und kleine Baumgruppen verschiedenster Arten umrundete. Jenga schnaufte ärgerlich, der kleine Spaziergang lies ihn schon schwer atmen. Durch stundenlange Arbeit im Büro, war er es nicht gewohnt größere Strecken zu Fuß zu gehen.
Diesmal war Kalum zu weit gegangen. Aus gutem Grund war es nicht gestattet, ohne Genehmigung die Klassenräume zu verlassen. Was alles passieren konnte ! Schließlich bestanden die Klassen aus Kindern verschiedenster Rassen. Wer konnte Allergien oder Überempfindlichkeitsreaktionen durch fremde Pflanzen ausschließen ? Was wenn einem der Kinder etwas zustieß ? Und davon einmal abgesehen, war es eine Regelwidrigkeit, die Jenga nicht einfach so hinnehmen konnte. Erst recht nicht von dem aufmüpfigen Kalum, das untergrub Jengas Autorität.
Den Weg säumten interaktive Hologramme, die die jeweiligen Lebensräume und deren typische Pflanzenarten erklärten, die hier ausgestellt waren. Tatsächlich hatte Jenga das Schularboretum noch nie aufgesucht und jetzt stellte er fest, dass er sich verlaufen hatte. Schwer atmend blieb er stehen und lehnte sich an einen Holopfahl, der daraufhin pflichtbewusst ansprang.
“Oh,” tönte eine unerträglich fröhliche Stimme “ihr wollt mehr über den Trasischen Wung erfahren ? Ein phänomenales Gewächs, fürwahr.” Eine bunte Figur tänzelte den Weg entlang und sprang leichtfüßig auf Jengas Schulter. “Der Wung ist ein Knollengewächs, das mit seinen, im Wasser treibenden Tentakeln,…” ärgerlich schlug Jenga nach dem Störenfried auf seiner Schulter, und die kleine Figur verschwand mit einem Plopp.
Wer hatte eigentlich diese kindischen Hologrammpfähle installiert ? Die Eltern der Kinder zahlten viel Geld dafür, dass ihre Sprösslinge diese renommierte Schule besuchen durften, wer verschwendete da kostbare Unterrichtszeit an solch alberne Holofiguren ?
Gleich morgen würde Jenga diese Dinger entfernen lassen, wenn er erst Kalum und seine Klasse gefunden hatte. Entschlossen ging er weiter.

In einiger Entfernung führte eine Reihe kleiner Fußabdrücke weg von dem Hauptweg. Schrilles Kinderlachen schien über dem Garten zu schweben, als die Horde Kinder beobachtete, wie sich eine blaublättrige Schlingpflanze Bertrand Kalums Bein nach oben schraubte und erst in Höhe seiner Brust anhielt. Ein dünner Blütenkelch in Form eines Schuhs stülpte sich in seine Hemdtasche, reckte den Hals einige Male hin und her und trat dann, enttäuscht weil er nichts gefunden hatte, den Rückzug an.
“Auf ihrer Heimat, Koorsa ist die Tamariska schon lange ausgestorben. Dort mussten die Pflanzen den Industrieanlagen der Dilicium Veredelung weichen,” erklärte Kalum einem Dutzend Kinder. Doch schon hatte die Pflanze ein neues Opfer gefunden. Der kleine Elric wurde ganz rosa und stand stocksteif da, als die Pflanze sein Ben hinauf kletterte.
“Keine Angst Elric, sobald sie deine Taschen kontrolliert hat, wird sie wieder verschwinden.” Einige der Kinder kicherten, als die Pflanze in Elrics Taschen fündig wurde und zwischen knorpeligen Blattlippen einen alten klebrigen Bonbon herauszog.
Während die Kinder lachten und schon wieder in alle Richtungen zerstoben, war nur die kleine Beca bei Kalum geblieben.
“Mein Daddy sagt immer, das Universum sei so riesig, dass für alle Lebewesen darin Platz ist. Warum siedelt man die Tamariska nicht hier auf Gelen an ?” Beca war ein sehr aufmerksames Kind mit, für ihre Spezies typischen, Hornansätzen auf der Stirn. Die Hörner waren noch klein und stumpf, ihr Mund dafür schon scharf und treffend.
“Den meisten im Imperium ist egal, was aus den Pflanzen wird. Sie sind keine intelligente Lebensform,” erklärte Kalum.
“Aber gerade deswegen müsste man ihnen doch helfen !” Protestierte Beca. “Wären sie intelligent, könnten sie sich selbst anpassen und man bräuchte ihnen nicht helfen.”
“Da ist etwas dran, Beca,” zwinkerte Kalum ihr zu.
“Könnten die Tamariska ihre Gestalt ändern, würden sie vielleicht auch auf Koorsa überleben.” Nun war Beca bei ihrem Lieblingsthema angelangt. Kalum ahnte was nun kommen würde.
“Vielleicht könnte ein Formwandler ihnen beibringen sich anzupassen, ihre Gestalt zu ändern um zu überleben,” sinnierte die Kleine.
“Aber du weißt doch, es gibt keine Formwandler mehr. Wer weiß, ob es sie überhaupt jemals gegeben hat.”
“Als ich in den Ferien mit meinen Eltern die Hauptstadt besichtigt habe, haben wir ein Hirogen-Schiff gesehen. Mein Daddy hat mir erzählt, dass die Hirogen die Formwandler gejagt haben und jetzt zur Leibgarde des Vorsitzenden gehören, weil er so zufrieden mit ihnen war. Wenn es nie Formwandler gegeben hat, warum gibt es dann Wechselbalgjäger ?”
Kalum lächelte. Für eine Siebenjährige, hatte Beca eine unwiderlegbare Logik. In der Gesellschaft der Kinder hatte Kalum immer das Gefühl das wahre Potential zu spüren, das immer noch im Iconianischen Reich schlummerte, diese Kinder waren die einzige Hoffnung für das stagnierende Sternenreich. Eine Hoffnung auf eine bessere, eine weisere Zukunft, die nicht von Eroberung und Unterwerfung geprägt sein würde, wie die blutige Geschichte des Reiches bisher.

Als Lehrer hatte sich Kalum einen empfindlichen Sinn für gefährliche Situationen angeeignet. Wenn man einige feste Regeln aufstellte, hielten sich die Kinder auch meist daran und man konnte ihnen auch Freiheiten gönnen, die so pedantische Kontrollfreaks, wie einige seiner Lehrerkollegen, niemals in betracht zogen. Bei einem Ausflug ins Grüne war alles in Ordnung, solange die Kinder ausgelassen schrien und tobten. Die gerade einsetzende Ruhe beunruhigte Kalum dagegen sehr.
Mit Beca eilte er zu der Gruppe Kinder hinüber, die am Ufer eines Teiches stand. Eigentlich gab es dort nichts, was den Kindern gefährlich werden konnte. Als Kalum jedoch näher kam, sah er die schwarz gekleidete Gestalt Direktor Jengas, der etwas mit ausgestreckten Armen weit von sich hielt.
Wieder war es Elric, der in Schwierigkeiten geraten war. Der tropfnasse Junge baumelte in Jengas Armen, die beiden Iconier blickten sich mit großen Augen an, als hätten sie die Spezies des anderen nie in ihrem Leben zuvor gesehen.
Als Kalum hinzutrat sagte der reumütige Junge zu ihm. “Die Tamariska war ins Wasser gefallen, ich wollte sie nur retten.”
“Es ist eine im Wasser lebende Spezies, Elric.” erklärte Kalum dem Jungen.
Jenga stellte den Jungen zurück auf den Boden und wandt sich an Kalum. “Würden sie mir bitte erklären, was sie hier draußen tun, Professor Kalum ?” Die Betonung des Wortes 'Professor', sollte wohl an Kalums gesunden Menschenverstand appellieren.
Im Biologieunterricht ging es um das Thema verschiedener Lebensräume. Es war nur logisch gewesen, bei diesem herrlichen Wetter einen Ausflug ins Arboretum zu machen, als im stickigen Klassenzimmer über den Bildschirmen zu brüten und sich blasse Holoanimationen anzusehen. Hier draußen konnten die Kinder die Dinge anfassen, die fruchtbare Erde in der tausende von Mikroorganismen ihr Werk verrichteten zwischen den Fingern zerreiben und sich mit dem Bachwasser nassspritzen, in dem die Samen der Pflanzen an andere Stellen des Ufers getrieben wurden. Hier konnten sie hautnah erleben, was in den sterilen Schulräumen so schwer begreiflich zu machen war.
Kalum kannte den Direktor. Dieser war ein Bürokrat der alten Garde, der bei Kindern hilflos überfordert war, deswegen hatte er auch ein schickes Büro, in dem er sich verstecken konnte. Wie sollte Kalum dem Direktor seine Motive klar machen, doch lügen wollte er auch nicht, also sagte er schlicht, “beim derzeitigen Thema, hielt ich ein wenig Feldforschung für angebracht.”
“So hielten sie ?” Jenga war sichtlich wütend, er schnaufte, weil er Kalum hatte suchen müssen und war gerade in eine peinliche Situation mit einer 'fremden Spezies' geraten. Heute würde Kalum nicht mit einer Ermahnung davon kommen.
Stumm hatten die Kinder sich halbkreisförmig um die beiden Erwachsenen gruppiert, so als wüssten sie ganz genau, wie unangenehm diese Aufmerksamkeit für den Bürokraten Jenga war.
Meine kleine Armee, die zu mir hält, dachte Kalum
“Kehren sie unverzüglich in ihren Klassenraum zurück, Mister Kalum. Ich erwarte sie heute um vierzehnhundert in meinem Büro. Im Namen des Imperiums,” sagte der Direktor, drehte sich auf dem Fuß herum und stapfte den Pflasterweg zurück zum Schulgebäude.
Kalum hätte es besser gefallen, der Direktor hätte ihn zur Seite genommen und lautstark gerügt, doch wie es aussah, würde es dabei nicht bleiben. Nur ungern würde Kalum diese Klasse aufgeben und in eine neue Stadt ziehen. Das hatte er in den letzten Jahren so oft getan, dass es schon zu einer unliebsamen Tradition geworden war.

So viele Namen, so viele Gesichter. Orte, die an seinem inneren Auge vorbeiziehen, als sitze er am Fenster einer dahinrasenden Magnetschwebebahn und blicke nach draußen. Nichts dringt zu ihm hinein. Ohne ein Geräusch zieht die Landschaft an ihm vorbei, die vermeintlich nahen Orte rasend schnell, entfernte langsamer, doch unerreichbar. Wenn er einen interessanten Fleck entdeckt hat, ist dieser im nächsten Moment schon wieder hinter einem Wäldchen oder einem großen Gebäude verschwunden.
Sein Leben im Zeitraffer.
Langsam verschwimmt alles zu einem einheitlichen Wirbel, bis selbst die Farben sich zu vermischen beginnen und mit einem grellen Blitz kommt er wieder zu sich.
Kalum sah sein Spiegelbild an. In Gedanken versunken lehnte er sich mit den Armen auf einem Waschbecken. Unter schmerzhaften Erinnerungen hatten seine Finger sich fest daran gekrallt, es tat weh, sie langsam davon zu lösen.
Er konnte sich schon gar nicht mehr an alle Orte erinnern, an denen er schon gelebt hatte. Und während dieser Zeit hatte er unzählige Berufe ausgeübt, immer darauf bedacht nicht aufzufallen. Anfangs war er schlichten Beschäftigungen nachgegangen, nur um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch jetzt hatte er etwas gefunden was ihn erfüllte. Er konnte sich nicht vorstellen schon morgen wieder seine Koffer zu packen und diese Kinder zu verlassen. Wie oft musste er das noch tun ? Würde das nie enden ?
Schnell spritzte sich Kalum noch etwas Wasser ins Gesicht um sich zu erfrischen. Die Flüssigkeit perlte von seinen Wangen und kurz lief ein Schauer über sein Gesicht, enthüllte seine wahre Gestalt, als sich die Haut kurz in eine vielfarbige Flüssigkeit verwandelte.
Beunruhigt wischte sich Kalum die letzten Tropfen vom Gesicht. Er hatte zu wenig regeneriert in letzter Zeit. Woher kam diese innere Unruhe ?


.........................

Fast alle, während der großen Ära der Expansion entstandenen iconianischen Städte, hatten einen ähnlichen Grundaufbau; Während die Ränder der Städte sich in kleine Vororte unterteilten und weiter in Industriegebiete und Farmen zerfransten, wie die alte Decke eines Bettlers, führten vier breit ausgebaute Straßen zum Zentrum der Stadt. Dort wo diese Hauptstraßen sich trafen gab es einen großen freien Platz. Was in früheren Siedlungen beinahe aller Kulturen das Forum war, war im Iconianischen Reich der Platz, an dem das Portal stand. Vor vielen Jahrhunderten war an diesen Orten von den ersten Siedlern ein Sternenportal gebaut worden, das die Bürger für alle Zeiten mit dem Iconianischen Reich verbinden sollte. Auch nachdem später andere Sternentore errichtet wurden, Personen, die es sich leisten konnten, sogar über eigene Tore zu den Sternen in ihren Residenzen verfügten, blieb dieses erste Tor ein Symbol für das "Ewige Imperium", wie manche es nannten.
Gerekan war eine Provinzstadt, die nur über wenige weitere Tore verfügte. Die gewaltigen Energiemengen, die das Portal der Stadt brauchte, wurden von einem nahen Energiewerk gespeist. Das Tor bildete den Nabel der Kleinstadt und war 27 Stunden am Tag aktiviert. Ein stetiger Strom von Menschen passierte das Tor, viele Händler benötigten diese Verbindung um ihre Waren überall ins Reich auszuliefern und passierten es mit Schwebetransportern oder großen mehrrädrigen Fahrzeugen. Viele Besucher auch zu Fuß
Mehrere Sicherheitsvorkehrungen sorgen dafür, dass keine Unfälle im geschäftigen Treiben vorkamen. So durfte zum Beispiel nichts das Ausgangstor passieren, bevor nicht ein Sensor am Zieltor bestätigte, dass sich nichts auf der kleinen Plattform vor dem Portal aufhielt. Das Ziel musste man an einem verglasten Schalter bei einem freundlichen peronischen Pförtner zuerst angeben, danach bekam man eine Nummer zugewiesen. Es war beinahe unvermeidlich, dass sich längere Schlangen bildeten. Menschenschlangen waren ein untrüglicher Hinweis auf Hochkulturen, konnte man fast meinen.
Auch an diesem sonnigen Nachmittag auf Gelen hatte sich eine beträchtliche Schlange vor dem Sternentor gebildet. Trotz der Tatsache, dass die Pförtner und Angestellten der Portalverwaltung ungewöhnliche Gäste gewöhnt waren, erweckten die drei großen Hirogenjäger, die aus dem Tor traten, einiges Aufsehen.
Die umstehenden, kleinwüchsigeren Iconianer überragten die Hirogen um beinahe das Doppelte, als sie mit schweren Schritten von der Plattform traten. Sofort war es in dem Trubel um das Portal leiser geworden. Kurz glänzte noch auf der Oberfläche des Tores das Antlitz der Hauptstadt des Reiches und war dann verschwunden. Von dort kam nicht alle Tage jemand.
Dass die stark gepanzerten Jäger in offizieller Mission waren, erkannte man an den auf ihren Schulterschärpen eingelassenen Wappen. Dies waren direkt dem Vorsitzenden unterstellte Jäger. Die Bemalung einer der Helmlappen ihres Anführers verriet zudem, dass die Hirogen auf der Jagd waren. Alle drei trugen Strahlenwaffen unter deren Gewicht die meisten Anwesenden wahrscheinlich zusammengebrochen wären, und sie sahen wachsam in die Menge.
Einer der Hirogen trat zu einem Infopaneel und lud Daten in ein kleines Handpad. Nachdem er alle Informationen abgefragt hatte, inspizierte sein Vorgesetzter, der größte der drei Hirogen, kurz was sein Untergebener heruntergeladen hatte. Der Anführer nickte kaum merklich, dann verließen die Hirogen den Platz entlang einer der Hauptstraßen. Überall auf den Wegen machten Bürger erschrocken Platz, wenn sie der drei Jäger gewahr wurden. Spielende Kinder wurden von ihren Eltern beiseite genommen. Niemand wagte die Hirogen anzusprechen, denn jeder wusste, wenn auch nur vom Hörensagen, dass es niemandem bekam, einen jagenden Hirogen zu behindern. Durch die automatisch von dem Sternentor abgerufenen Imperialen Insignien waren die Jäger höher gestellt, als selbst lokale Sicherheitstruppen. Sie hatten alle Vollmachten.
Nur der gewissenhafte Peroner, der das Sternentor überwachte, dachte überhaupt daran, die Autorisierung der Hirogen gegen zu prüfen. Mit einigen kurzen Befehlen gelang es ihm sogar die Informationen einzusehen, die einer der Jäger abgefragt hatte. Auf seiner glatten Stirn zeigten sich tiefe Sorgenfalten, mit denen er bei seiner Arbeit sonst so manchen ungeduldigen Bürger in Schach zu halten verstand, als er erkannte, nach welcher Einrichtung die drei Hirogen suchten.


Mit schweißnassen Fingern nahm Direktor Jenga das Pad entgegen. Vor Aufregung zitterten seine Hände, auf den Text konnte er sich kaum konzentrieren, das Foto erkannte er jedoch sofort. Unterzeichnet war es vom Leiter der imperialen internen Sicherheit. An der Echtheit des Dokuments bestand kein Zweifel.
Ungeduldig nahm der große Hirogen Jenga das Pad wieder aus der Hand. "Ich muss dieses Individuum sofort ausfindig machen," erklärte der Hirogen. Seinen Namen hatte Jenga sich nicht merken können.
Der Jäger war so abrupt in seinem Büro aufgetaucht, dass der Direktor bisher noch keinen klaren Gedanken hatte fassen können. Kalum, natürlich, wen sonst sollten die Hirogen suchen. Doch warum waren sie auf der Jagd nach einem seiner Untergebenen ? Sicher, Kalum war ein Störenfried und Jenga hatte auch schon die Entlassungspapiere vorbereitet, doch Hirogen waren nicht für Bagatellen zuständig.
"Sie haben Glück, Professor Kalum ist sicher noch in seinen Räumen. Ich muss auch darauf hinweisen, dass unsere Schule nach mehreren Unregelmäßigkeiten, sich heute von Doktor Kalum getrennt hat," erklärte Jenga kratzbuckelig dem Hirogen, der daraufhin merkwürdig grinste.
"Ich muss sie nun bitten in aller Ruhe eine umfassende Evakuierung des Gebäudes zu veranlassen und sich danach ebenfalls nach draußen zu begeben."
"Evakuieren ?" nervös blinzelte Jenga den riesigen Hirogen an. "Das ist doch sicher nicht nötig. Der Unterricht ist für heute beendet. Es befindet sich fast niemand mehr im Gebäude."
"Räumen sie das Gebäude," zischte der Hirogen durch die Zähne.
"Gut. Natürlich. Sofort." Jenga tippte einige Befehle in seine Schreibtischkonsole ein. Er verschickte persönliche Mitteilungen an alle Angestellten, die sich noch im Gebäude aufhielten. Als er tippte war der Hirogen hinter ihn getreten. Jenga war viel zu verängstigt als sich über diese Indiskretion zu beschweren.
"Zeigt diese Anzeige, welche Personen sich noch im Gebäude aufhalten ?"
"Ja, aus Gründen der Diskretion kontrollieren wir nur unsere Angestellten. Mit dieser Anzeige kann ich sehen, welche Angestellten sich noch hier aufhalten."
Der Hirogen beobachtete, wie sich kleine aufblitzende Lichtpunkte in einer Schemazeichnung des Gebäudes bewegten. Alle Punkte strebten den Ausgängen zu.
Während der Hirogen die Anzeige überwachte, sah Jenga nach draußen. Gerade ging der Hausmeister des Gebäudes über die Straße. Eine von einem großen Transporter größtenteils verdeckte Person schien ihn zu sich zu winken. Hinter dem Mann flackerte kurz etwas auf, als wäre ein Schutzschirm aktiviert worden.
Was ist hier los ? Fragte Jenga sich nervös. Ach, eigentlich wollte er es gar nicht wissen. Im Grunde wollte er einfach nur schnellstmöglich hier raus.
Draußen war es merkwürdig ruhig geworden. Außer dem Transporter auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren überhaupt keine Fahrzeuge unterwegs, noch nicht einmal leise über den Himmel gleitende Schweber konnte Jenga ausmachen. Die Umgebung war so ruhig wie an einem Feiertag.
Während der Hirogen immer noch die Anzeige überwachte und zwischen Darstellungen der einzelnen Stockwerke des Gebäudes hin und her schaltete, fiel Jenga mit einem mal ein, dass Kalum jeden Moment hier auftauchen könnte
Jengas Blick schweifte zu dem Chronometer an der Wand und er registrierte panisch, dass es nur noch wenige Minuten bis zu dem Termin waren, als plötzlich die Tür aufging. Es war Kalum, der verdutzt in der Tür stand und die Situation nicht gleich zu erfassen schien. Starr blickte er in den Raum, während der Hirogen mit einer schnellen fließenden Bewegung seine schwere Waffe vom Rücken nahm. Kurz starrten sich Kalum und Jenga in die Augen, dann waren dort, in Kalums Gesicht, keine menschenähnlichen Sehorgane mehr. Er hatte sich vor Jengas Augen in einer wabernde morphogene Masse verwandelt.
Der Hirogen feuerte seine Waffe ab und alles herum schien zu explodieren. Jenga warf sich hinter seinem Schreibtisch in Sicherheit, während Trümmerstücke auf ihn herabregneten. Der Schuss hatte die halbe Wand gegenüber weggerissen, doch wenn Jenga sich nicht irrte, hatte er das Wesen, das er als Professor Bertrand Kalum kannte, kurz vor dem Schuss nach oben verschwinden sehen. Am liebsten wäre Jenga überhaupt nicht aufgestanden, sondern hätte sich hier hinter seinem Schreibtisch verkrochen, bis alles vorbei war, doch der Hirogen zerrte ihn unsanft nach oben und zeigte ihm das Loch in der Decke des Vorraums.
Natürlich, die Belüftungsanlage. Das Wesen hatte sich in die Luftkanäle retten können.
"Laden sie die kompletten Schemata des Gebäudes in mein Pad, na wird's bald !"
Jenga kam der Forderung des Hirogen sofort nach. Er überreichte dem Jäger das Pad und sah ihm nach, als dieser mit kräftigen, von Rüstungsservos verstärkten Schritten hinaus eilte. Doch was sollte er jetzt tun ? Einige Male lief Jenga zwischen seinem Büro und dem Vorraum hin und her. Sollten der Hirogen und das fremde Wesen sich doch gegenseitig an die Gurgel gehen, er würde hier jedenfalls verschwinden. Er musste sich nur hinter diesen Schutzschirm in Sicherheit bringen.
Jenga wischte Schutt von seiner Schreibtischkonsole und checkte das Notsystem für den Brandfall. Jemand hatte alle Nottransporter ausgeschaltet, die bei einem Feuer die Menschen in Sicherheit beamen sollten. Jenga musste also zu Fuß aus dem Gebäude fliehen. Mit wackeligen Beinen fiel er buchstäblich in die Zugangsluke zum Treppenhaus, die sonst eigentlich nur Wartungsarbeiten diente.


Alleine war Beca noch nie in dem weitverzweigten Schulgebäude gewesen. Jetzt, wo keine Menschenseele sich in den breiten Gängen und Klassenräumen aufhielt, sah alles so viel größer aus, als an normalen Schultagen.
Fröhlich schlenderte sie zu ihrem Klassenraum und achtete auf die vielfältigen Echos ihrer Stiefel in dem Gang. Sie machte ein Spiel daraus. Zwei Schritte, dann wartete sie auf das Echo. TA-TAPP, ta-tapp. Wenn man die Echos abwartete konnte man einen interessanten Rhythmus hören.
Ihr täglicher Nachhauseweg führte Beca durchs Schularboretum und dort hatte sie heute nach Schulschluss eine interessante Entdeckung gemacht; im sandigen Ufer des Teiches hatte sie Eierschalen entdeckt ! Was immer auch daraus geschlüpft war, es musste passiert sein, nachdem die Schulklasse zum Schulgebäude zurückgekehrt war, denn heute morgen war dort noch nichts gewesen. Beca hatte die Eierschalen vorsichtig in ein Tuch gewickelt und beschlossen, ihren Lehrer Doktor Kalum zu fragen, was das für Eier waren. Sie wusste, dass der Lehrer noch oft nach Schulschluss in seinem Büro saß und arbeitete. Für die Kinder hatte Herr Kalum immer ein offenes Ohr, seine Lehrerkollegen sahen ihn nicht oft.
Im Klassenraum stand die Tür offen, es war jedoch niemand da. Kurz entschlossen schlenderte Beca weiter zu Kalums Büro. Eigentlich durften die Kinder dort nicht hinein, doch Herr Kalum pflegte Ausnahmen zu machen, wenn er alleine war, und so wie es aussah, war niemand sonst mehr hier.
Dann hörte sie ein entsetzliches Dröhnen, das sich durch die Gänge weiter fortsetzte. Der Boden schien kurz zu beben.
Beca hatte einmal gesehen, wie ein Transporter mit einer Fehlfunktion gegen eine Hausmauer gefahren war. Genauso musste sich das für die Leute in dem Gebäude angefühlt haben. Sie wollte gerade zu einem der Fenster um nach zu sehen, als am Ende des Ganges plötzlich etwas auftauchte. Ein Schatten huschte vorbei und etwas schlug in die Wand ein. Der Schlag war so ohrenbetäubend, dass Beca sich die Ohren zuhielt und hinter einem Süssigkeitenautomat in Deckung ging. Sie hörte schwere Schritte im Gang und drückte sich ängstlich so weit in die Ecke, dass man sie nicht sehen konnte. Lange Zeit geschah nichts. Beca wagte sich langsam wieder aus ihrem Versteck. Alles war ganz ruhig. Weiter hinten auf dem Gang waren Tropfen einer Flüssigkeit. Beca lief hinüber und sah sie sich an. Es war eine merkwürdig bunte Substanz, die oberflächlich wie Öl schimmerte. Die Tropfen begannen mitten auf dem Gang und führten in einen der Klassenräume. Neugierig geworden folgte Beca der Spur.
"Beca, was tust du denn hier ?," Herr Kalum stand vor ihr und sah sie merkwürdig an. War das Angst in seinem Blick ?
Doch Beca lächelte nur unsicher, wenn sie ihm erst die Eierschalen zeigte, wäre er ihr sicher nicht böse. "Ich wollte ihnen etwas zeigen Herr Kalum !" Sagte sie, als ihr auffiel, dass die Tropfen genau bis zu der Stelle führten, an der Herr Kalum stand. Und nicht nur das, sein gesamtes Bein schien von der Flüssigkeit benetzt zu sein.
"Du musst hier weg Beca, schnell," schaffte Kalum gerade noch zu sagen, als es hinter Beca wieder so schrecklich knallte. Herr Kalum schien sich aufzulösen, dann war Beca unter einem Schirm aus der Flüssigkeit gefangen und schrie ängstlich auf. Es wurde plötzlich sehr heiß um sie herum und der Schirm zog sich schließlich zurück. Dafür stand ein riesiger Hirogen vor Beca, seine infernalische Waffe direkt auf sie gerichtet. Im Rausch der Jagd reagierte der Hirogen gar nicht auf sie. Er wechselte etwas an seiner Waffe aus und zielte dann erneut.
Sie hörte ein lang gezogenes "Neeeeeein" hinter sich und wurde zur Seite gestoßen. Der Hirogen feuerte an Beca vorbei.
Sie rutschte unter eines der Pulte. Dann sah sie, ängstlich zusammengekauert, wie der Hirogen auf eine Art schimmernde Knetmasse zuging und mehrmals darauf feuerte. Nachdem die Masse sich nicht mehr rührte, sondern auf dem Boden zerlief, zog der Hirogen ein, Beca fremdes Gerät und richtete es auf die Pfütze. Mit angsterfüllten Augen sah sie, wie die Pütze sich wieder zusammenzog und einen Körper formte. Zuerst erkannte sie ihn nicht, doch als der Hirogen das, wie eine in der Mitte zerbrochene menschliche Skulptur geformte Ding, aufhob, sah sie das schmerzverzerrte Gesicht ihres Lehrers, Doktor Kalum. Stolz trug der Hirogen seine Trophäe hinaus.

...........................


Noch einmal zupfte Kara Pasan ihr Kleid zurecht und überprüfte ihr Aussehen im Spiegel. Sie trug ein eng anliegendes weinrotes Kleid, das ihr bis über die Knöcheln reichte. Ihre Haare hatte sie zusammengesteckt und ihren viel zu dunklen Tein weiß gepudert. Prüfend blickte sie auf das Gesicht im Spiegel. Beinahe hätte sie sich selbst nicht erkannt. Es war Jahre her, dass sie sich zuletzt so schick angezogen hatte.
Sie konnte sich noch genau an den Tag erinnern, an dem sie dieses Kleid zum letzten Mal getragen hatte. Sie und Bernard waren zusammen zu den Kalto Wasserfällen geflogen, hatten einen ganzen Tag zusammen dort verbracht und - beinahe - alle Sorgen vergessen. In einigen Wochen würde dieser Tag sich zum zehnten Mal jähren. Bernard war bereits seit acht Jahren tod.
Sie hätte alles darum gegeben, nicht ausgerechnet dieses Kleid am heutigen Abend tragen zu müssen, die Erinnerungen, die sie damit verband waren zu schmerzlich. Die bittere Ironie, ausgerechnet in diesem Kleid die Tochter verlieren zu müssen, in die Bernard so vernarrt gewesen war, schmerzte. Doch sie hatte gar kein anderes Kleid, das für den Anlass des Abends geeignet war. Längst bestand ihr Alltag nicht mehr aus Empfängen und Bällen, endlosen Partys, nur unterbrochen, von dem einen oder anderen Wochenende auf dem Land. Die harte Arbeit auf den Feldern hatte ihrer Haut einen unangemessen braunen Tein beschert.
Ein Läuten riss Kara aus ihren Gedanken. Hastig ging sie in die Halle und sah auf die antike Uhr. Sie würden jeden Moment hier sein. Großmutter Sania wartete bereits seit einer Stunde in dem alten Sessel am Fenster und starrte schweigend nach draußen. Wo war Kani ?
Kara stapfte ärgerlich durchs Haus und musste dabei ihren Kleidsaum vorsichtig anheben, um nicht darüber zu stolpern. Nein, sie war es auch längst nicht mehr gewohnt sich so zu kostümieren.

Gerade als Kara ihre widerspenstige Tochter dazu hatte überreden können, wenigstens ein sauberes Kleid anzuziehen, schrillte schon der Türgong. Der Chauffeur stand vor der Tür, draußen schwebte ein glänzender Gleiter über der von Unkraut entstellten Auffahrt.
Der Mann hielt den drei Frauen höflich die Türen auf und half Karas Mutter beim Einsteigen, was diese nur mit einem dahingenuschelten Danke quittierte. Kari sagte gar nichts, sondern setzte sich nur schweigend auf die hinterste Sitzreihe.
Warum konnten sie nicht einsehen, wie wichtig dieser Abend für das Überleben der Farm war ? Alles stand auf dem Spiel und in nicht enden wollenden Gesprächen hatte Kara versucht Kani und Großmutter Sania davon zu überzeugen, dass sie die Farm alleine nicht weiterführen konnten. Anfangs hatten sie sich noch ganz gut durchschlagen können. Die Vorarbeiter hatten Kara als neue Chefin akzeptiert und dank ihres Einsatzes schätzen gelernt. Großmutter hatte noch einige Jahre die Ernte und den Verkauf überwacht, während die zwanzigjährige Kani es verstand, Käufern immer noch eine zusätzliche Tonne anzukredenzen. Sie waren ein gutes Team gewesen. Doch jetzt brauchten sie Hilfe, dringend.
Der Gleiter schwebte in geringer Höhe ihrem Ziel entgegen. Zu ihren Füssen tauchte der Sonnenuntergang die Stadt in goldenes Licht. Die schäbigen, von Unrat verstopften Straßen und zerstörten Häuser wirkten befremdend friedlich.
Sie flogen auf direktem Weg auf das einzige Gebäude zu, das noch vollkommen intakt war. Auf einer kleinen Anhöhe erbaut und mit bestem Blick auf die gesamte Stadt wirkte Gredens Villa wie ein Herrscherpalast. Im Grunde war sie auch nichts anderes, zumindest inoffiziell. Der gewaltige Schutzschirm löste sich kurz auf, als der Gleiter auf einer der Terrassen zur Landung ansetzte. Dann flackerte der Schirm wieder über ihnen auf und Kara wünschte sich, sie könnten sich ewig darunter verstecken, für immer das Chaos und Leid des Bürgerkriegs aussperren.
Sie wurden von einem Diener empfangen und in einen Wartesaal geführt. Kara vermutete, der Lakai mache absichtlich einen Umweg durch lange Flure und Hallen, um die drei ahnungslosen Besucher zu beeindrucken. Und beeindruckend war es. Sie liefen durch Räume deren Decke von dicken Säulen getragen wurde. Ihre Schritte auf den kunstvollen Marmorböden halten noch lange nach, wenn sie längst schon einen weiteren Raum betreten hatten. überall gab es Kunstwerke. Wandteppiche zierten die Wände, gefolgt von mehreren Gemälden, die sich einem einzigen Thema zu widmen schienen, oder zumindest während der gleichen Phase des Künstlers entstanden waren. Die Endlosigkeit der Hallen wurde von verschiedensten, lebensgroßen Skulpturen bevölkert. Dann folgten antike Möbel und Musikinstrumente. Gendra schien ein großer Kunstsammler zu sein, und Kara hätte es beinahe schon als positive Eigenschaft ihres zukünftigen Enkelsohnes verbucht, wenn sie nicht plötzlich eine Skulptur entdeckt hätte, die sie selbst noch vor vielen Jahren in einem Museum bewundert hatte. Zweifellos handelte es sich bei all den Kunstgegenständen um Diebesgut, die Beute der vielen Plünderungszüge der letzten Jahre.
Kara hatte schon immer vermutet, dass hinter dem Chaos ein planender Geist stand. Gendra war nicht der einzige ehemalige Kaufmann, der die Wirren des Bürgerkrieges klug genutzt hatte. Zu seinem eigenen Nutzen.
Sie kamen schließlich in einem gemütlich mit dicken Teppichen und robusten Holzmöbeln eingerichteten Raum an. Eine Art Konferenzzimmer mit einem privateren Ambiente. Von hier aus hatte man einen atemberaubenden Blick auf die Stadt. Sie mussten sich in einem höheren Stockwerk befinden. Komisch, vor lauter Staunen hatte Kara gar nicht bemerkt, dass sie Treppen gestiegen waren oder einen Aufzug benutzt hatten.
Der Diener versicherte ihnen Gendra sei auf dem Weg und bat die Gäste solange Platz zu nehmen. Während Kara und Großmuter sich pflichtschuldig setzten, blieb Kani stehen und wand sich dem Panoramablick auf die Stadt zu.
Auf dem Tisch, um den Holzstühle mit filigran geschwungenen Beinen gruppiert waren, stand eine Schale mit Süßigkeiten. Kara konnte nicht widerstehen und griff zu. "Oh Kani,, echte Ermanat Plätzchen !"
Die beim Fenster stehende Kani schnaubte nur verächtlich. Als ihr bewusst wurde, wie naiv sie sich auf das Gebäck gestürzt hatte legte Kara das letzte Plätzchen wieder zurück in die Schüssel und stand auf.
"Sieh nur wie wunderschön es hier ist. Wann haben wir drei zuletzt zusammengesessen und frisches Gebäck essen können....," setzte Kara an.
"..... und dafür verschacherst du deine Tochter ?" empörte sich Kani.
"Ich verschachere dich nicht, ich biete dir ein luxuriöses Leben, wie wir es niemals wieder haben werden," erklärte Kara zum wahrscheinlich hundertsten Mal. "Selbst wenn wir neue Maschinen bekommen, ein Drittel der Felder wird nie wieder einen so guten Ertrag liefern, wie noch vor einigen Jahren. Und nach der Zerstörung von Kent ist von dortigen Feldern nur eine Kraterlandschaft übrig."
"Gegen was tauscht du mich ein. Eine Erntemaschine ? Zwei ? Neues Saatgut aus den Labors ?"
"Kani ....... ich." Doch es war sinnlos. im Grunde ihres Herzens wusste Kara, dass ihre Tochter recht hatte. Doch sie brauchten die Hilfe dringend. Und auch den Schutz, den ein so enges Bündnis mit dem mächtigsten Warlord des Planeten versprach. Wenn sie Glück hatte, würde Kani im Harem Gendras landen. Vielleicht würde er sie am Anfang etwas mehr beachten, doch Kara wusste, wie spröde und abweisend ihre Tochter sein konnte, wenn diese jemanden nicht mochte. Gendra würde ihrer überdrüssig werden, und dann wäre sie nur eine unter vielen Frauen, denen es in diesem Palast besser ging, als wenn sie auf den Straßen verhungerten oder jeden Tag ihre Körper verkaufen mussten. Kara dachte daran zurück, wie es für sie gewesen war, als sie sich zum ersten Mal verkauft hatte. Nur für ein kleines Ersatzteil, eine Energiespule, ohne die die Erntemaschine jedoch nie wieder funktioniert hätte.
Doch was wusstest du davon Kani ? Hast du gewusst, dass unsere kleine Idylle auf einem so schmutzigen Geschäft aufbaute ? Wenn ich bereit war dieses Opfer zu bringen, immer und immer wieder, wirst auch du es lernen, dachte Kara voller Bitterkeit.
Hilflos wandte sich Kara an Großmutter. Doch diese schien nicht gewillt, überhaupt etwas zu sagen. Hatte Kara das verdient ? Schließlich hatte sie sich all die Jahre um die beiden gekümmert. Was wäre aus der Farm geworden, hätte sie nicht gekämpft um alles zusammen zu halten. Die Farm war das Erbe Großmutters Sohn, ihres Mannes Bernard. Kara hatte mit allen Mitteln versucht diese Erbe zu erhalten und damit die Erinnerung an ihren geliebten Mann
Wütend ging Kara in dem Raum auf und ab. Sie versuchte sich zu beruhigen, doch es wollte ihr nicht gelingen.
Wie lange warteten sie nun schon hier ? Wo steckte Gendra ? Auch von den zahlreichen Bediensteten ließ sich lange keiner blicken.
Plötzlich schoss ein Kampfflieger über die Stadt, gefolgt von einem Überschallknall.
Endlich erschien ein Diener. Es war nicht der, der sie empfangen hatte und er schien überaus nervös zu sein.
"Sehr geehrte Damen, Herr Gendra lässt sich entschuldigen. Wichtige Amtsgeschäfte erfordern momentan seine volle Aufmerksamkeit. Ich soll sie in eine siche.... ich meine, einen bequemeren Teil des Hauses führen. Bitte folgen sie mir." Der kleine Mann ging ihnen ohne weitere Worte voraus, scheinbar war er es gewohnt, dass man seinen Aufforderungen folge leistete.
Nur widerwillig folgten die drei Frauen dem Diener und kamen kurz darauf in einem weiteren Raum an, dessen Scheiben schon von einer schützenden Panzerung verschlossen waren. Großmutter Sania starrte wie gebannt auf vier Skulpturen, die die hintere Wand des Raumes schmückten. Keine sehr ansehnlichen Kunstwerke um sie seinen Gästen vorzuführen. Alle vier Skulpturen stellten Menschen dar, die ab der Hüfte aus der Wand ragten, als seien sie eingemauert worden. Schmerzverzerrte Gesichter starrten mit einem hohlen Blick nach oben. Die Arme waren Hilfe suchend ausgebreitet.

Sania Beca Kaldrup starrte lange in das Gesicht ihres ehemaligen Lehrers. Seit achtzig Jahren hatte sie nicht mehr an den Vorfall in ihrer alten Schule gedacht, in so gut es ging verdrängt. Längst war das Iconianische Imperium im Staub der Geschichte versunken und mit ihm die hasserfüllte Jagd auf die letzten Formwandler. Nur noch einige alte Märchen erzählten von iconianischen Bürgern, die aus ungeklärten Umständen eine Mutation durchmachten. Iconianern, die die Gestalt ändern konnten. Sie waren alle gejagt worden. Schließlich hatten die Hirogen auch den letzten Formwandler zur Strecke gebracht.
Hatten die Jagdtrophäen all die Jahre hier gehangen, nur wenige Meilen von ihr entfernt ? Die Hirogen hatten sie damals sicher dem Vorsitzenden vorgeführt. Irgendwann, nachdem es ganz offiziell kein Imperium mehr gab - und auch keinen Vorsitzenden - musste sie dann ein Sammler gekauft haben, damit sie diese Villa "schmückten".
Beca würde nie all das Leid gut machen können, dass das Imperium den Wandlern angetan hatte, doch sie konnte ihrem alten Mentor einen letzten Dienst erweisen und seine Leiche aus dieser entwürdigen Starre befreien.

Der Angriff begann ohne Vorwarnung. Zwei zielgerichtete Desruptorstöße von einem in den Orbit eintretenden Schiff fanden ihr Ziel und zerstörten die Abwehrkanonen in den, die Stadt Gerekan säumenden, Bergen. Dann drangen drei Objekte in die Atmosphäre ein. Die, von der Eintrittswärme entflammte Kugeln, wurden zu Schiffen. Es waren zwei Scoutschiffe, die ein globiges drittes Schiff flankierten. Die beiden Scouts zogen das Feuer der verbliebenen Abwehrgeschütze auf sich. Über einem harmlos wirkenden, flachen Gebäude lies das mittlere Schiff seine tödliche Fracht ab. Die starke Bombe war als "Nussknacker" bekannt und bracht tatsächlich die meterdicke Betonschicht des versteckten Kraftwerkes. Sofort erlosch der Schutzschirm über Gredens Anwesen. Der Angriff war von langer Hand geplant worden. Freiheitspartisanen stürmten auf den Palast des verhassten Feindes zu.

Als der Schutzschild über dem Gebäude ausgefallen war, trat Beca näher an die Skulpturen heran. Mit zittriger Hand berührte sie die ausgestreckten Finger Kalums' Leiche. Ein leichtes Kribbeln verriet einen versteckten Schutz. Beca suchte kurz die Wand ab. Schnell wurde sie fündig und konnte, nach nur zwei Sicherheitsfragen des Systems, den Apparat ausschalten.
In der Empfangshalle waren jetzt Schüsse zu hören.
"Großmutter Sania, wir müssen hier weg," drängte Kara.
Beca hatte gehofft, sie könnte die Leiche ihres alten Mentors aus dieser Starre lösen, doch nichts geschah. Die "Skulpturen" behielten ihre Form.
Eine Explosion erschütterte das Gebäude. Kara sah Rauch aus der Stadt aufsteigen. Auch hier waren sie nun nicht mehr sicher. Kara wusste, dass sie nur eine Chance hatten. Sie mussten sich zu Hause verbarrikadieren und darauf hoffen, dass ihre Farm kein interessantes Ziel darstellte.
Willenlos lies sich Beca von ihrer Schwiegertochter und Enkelin aus dem Raum zerren. Durch einen Hinterausgang konnten die drei Frauen tatsächlich ins Freie entkommen.

In ihrem Leben war es den Formwandlern nie gelungen, sich gegenseitig ohne Gefahr berühren zu können. Die Berührung eines anderen ihrer Art war sehr schmerzhaft für sie gewesen. Hunderte verschiedener Sinneseindrücke prasselten dabei auf beide Formwandler ein. Zusammen mit den invasiven Gedanken, Wünschen, Träumen und Ängsten zweier Individuen waren sie wie ein unkontrollierbarer Albtraum gewesen, eine nicht zu bändigende Informationsflut
Während sich um die Villa herum verbarrikadierte Todfeinde noch lange bekämpften, begann sich die Fixierung der Formwandler aufzulösen. Wie Glas, das im Laufe von Jahrzehnten zerfließt, floss das, was von den Formwandlern geblieben war, langsam auf den Boden.
Bis zum nächsten Morgen war von den Hirogen-Jagdtrophäen nicht viel geblieben als eine breite Pfütze auf dem Parkett der zerstörten Räume, die sie geschmückt hatte.
In der morphogenen Substanz, die diese Pfütze bildete, gab es längst kein Leben mehr, und so vermischten sich die Leichen ungehindert und vollkommen. Nach langer Zeit schoss ein Funke über die farblose Brühe. Wie durch das Feuern einer einzigen Synapse, der auf angrenzende Synapsen überspringt, entzündete sich ein neues Bewusstsein. Die Körper der einstigen Formwandler erlebten zum ersten Mal eine vollkommene Vereinigung - unter unsäglichen Schmerzen. Und aus den Überresten wurde eine neue Lebensform geboren.
Das neue Wesen sollte weiterleben, sich entwickeln und Kinder gebären. Eine neue Rasse sollte entstehen, die fortan alle humanoiden Lebensformen, die "Solids", abgrundtief hasste.